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sah die Mutter furchtsam an, deren Augen vor Neugierde
funkelten. »Ja und ... Mutter?« fragte sie verstört. »Ich
möchte gern wissen, was da oben vorgeht. Wenn ein
Mensch da oben ist, so hat er sich noch nicht vom Fleck
gerührt. Geh doch hinauf...«  »Ich?« rief das junge
Mädchen entsetzt aus. »Hast du Furcht?«  »Nein, Mut-
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ter, aber mir war, als ob ich den Schritt eines Mannes
gehört hätte.«  »Wenn ich selbst hinaufgehen könnte,
würde ich dich nicht bitten, es zu tun, Hélène«, versetzte
die Mutter kühl und würdevoll; »wenn dein Vater he-
reinkäme und mich nicht fände, würde er mich vielleicht
suchen, während er deine Abwesenheit gar nicht bemer-
ken wird.«  »Mutter«, antwortete Hélène, »wenn du es
mir befiehlst, werde ich gehen, aber es wird mich die
Achtung meines Vaters kosten...«  »Wie denn!« sagte
die Marquise ironisch; »da du ernst nimmst, was nur als
Scherz gemeint war, befehle ich dir nun, nachzusehen,
wer da oben ist. Hier ist der Schlüssel; meine Tochter!
Als dir dein Vater Schweigen gebot über das, was sich
heute in seinem Hause zuträgt, hat er dir nicht untersagt,
in dieses Zimmer hinaufzugehen. Geh nun und wisse,
daß es einer Tochter niemals zusteht, über ihre Mutter zu
richten ...«
Nachdem die Marquise diese letzten Worte mit der gan-
zen Strenge einer beleidigten Mutter hervorgebracht hat-
te, nahm sie den Schlüssel und reichte ihn Hélène, die
sich, ohne ein Wort zu sagen, erhob und den Salon ver-
ließ.
: Meine Mutter wird immer seine Verzeihung zu erlangen
wissen, aber ich werde in seinen Augen gesunken sein!
Will sie mir denn das Herz meines Vaters rauben, mich
aus seinem Hause jagen?9
Diese Gedanken wirbelten ihr im Kopf herum, während
sie im Dunkeln den langen Korridor durchschritt, an des-
sen Ende sich die Tür zu dem geheimnisvollen Zimmer
befand. Als sie dort angelangt war, hatte der Wirrwarr in
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ihrem Kopf etwas unheilvoll Drohendes angenommen.
Tausend bisher unterdrückte Gefühle drangen während
dieser dunklen Überlegung aus ihrem Innern hervor.
Wenn sie vielleicht schon nicht mehr an eine glückliche
Zukunft glaubte, so verzweifelte sie in diesem schreckli-
chen Augenblick vollends am Leben. Sie zitterte krampf-
haft, als sie den Schlüssel dem Schlosse näherte, und ihre
Erregung steigerte sich derartig, daß sie einen Augen-
blick innehielt und die Hand auf das Herz preßte, als
könne sie dadurch seine heftigen tiefen Schläge besänfti-
gen. Endlich öffnete sie. Der Mörder schien das Krei-
schen der Türangeln überhört zu haben. Trotz seiner ge-
schärften Sinne blieb er reglos und wie in Gedanken
verloren fest an die Wand gedrückt stehen. Der Licht-
kreis, der von der Laterne ausging, beleuchtete ihn
schwach, und in dem Halbdunkel glich er jenen finstern
Ritterstatuen, die in gotischen Kapellen immer in den
Nischen auf einer schwarzen Gruft stehen. Auf seiner
breiten, gelben Stirn perlte kalter Schweiß. Eine unerhör-
te Kühnheit strahlte von seinem qualvoll verzogenen Ge-
sicht aus. Seine feurigen Augen schienen trocken und
starr einem Kampf zuzusehen, der sich vor ihm im Dun-
keln abspielte. Rebellische Gedanken jagten über sein
Angesicht, dessen entschlossener, tapferer Ausdruck eine
überlegene Natur verriet. Wuchs und Haltung seines
Körpers standen im Einklang mit seinem wilden Wesen.
Dieser Mann war ganz Macht und Kraft, und er faßte die
Finsternis wie ein sichtbares Bild seiner Zukunft ins Au-
ge. Der General, der an die willensstarken Riesengestal-
ten gewöhnt war, die Napoleon umdrängt hatten, und der
ganz von geistiger Neugierde befangen war, hatte den
körperlichen Besonderheiten dieses außergewöhnlichen
Mannes keine Beachtung geschenkt; aber Hélène, die,
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wie alle Frauen, für äußere Eindrücke empfänglich war,
wurde gepackt von der Mischung aus Licht und Schatten,
aus Großartigem und Leidenschaft, von einem poetischen
Chaos, das dem Unbekannten das Aussehen Luzifers, der
sich nach seinem Fall wieder erhebt, verlieh. Plötzlich
legte sich wie durch einen Zauber der Sturm, der sich auf
seinem Gesichte widergespiegelt hatte, und die unerklär-
liche Macht, deren Ursache und Wirkung vielleicht un-
bewußt der Fremde war, breitete sich um ihn herum mit
der Gewalt einer reißend anwachsenden Überschwem-
mung aus. In dem Augenblick, da seine Züge sich glätte-
ten, strömte seine Stirn eine Fülle geistigen Lebens aus.
Teils von der seltsamen Begegnung, teils von dem Ge-
heimnis, in das es eindrang, gefesselt, konnte das junge
Mädchen nun ein sanftes, empfindsames Antlitz bewun-
dern. Sie verharrte einige Zeit in einem wundersamen
Schweigen, unter einem Ansturm von Gefühlen, die ihrer
jungen Seele bislang unbekannt waren. Bald aber, sei es,
daß eine Bewegung oder ein unwillkürlicher Ausruf Hé-
lènes, sei es, daß die fremden Atemzüge den Mörder aus
seiner Gedankenwelt in die Wirklichkeit zurückriefen,
wandte er den Kopf der Tochter seines Gastgebers zu und
bemerkte undeutlich im Schatten das himmlische Gesicht
und die hoheitsvolle Gestalt eines Wesens, das er, da er
es so starr und nebelhaft wie eine Erscheinung stehen
sah, für einen Engel halten mußte. »Monsieur!« sagte
Hélène mit zitternder Stimme. Der Mörder erbebte. »Eine
Frau!« rief er leise; »ist es möglich? Entfernen Sie sich!
Ich erkenne niemandem das Recht zu, mich zu beklagen,
mich freizusprechen oder zu verdammen! Ich muß allein
leben! Gehen Sie, mein Kind«, fügte er mir einer Herr-
schergebärde hinzu, »ich würde den Dienst, den mir der
Herr dieses Hauses erweist, schlecht lohnen, wenn ich
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einen einzigen seiner Bewohner die gleiche Luft mit mir
atmen ließe! Ich muß mich den Gesetzen der Welt unter-
werfen.«
Dieser letzte Satz wurde mit leiser Stimme gesprochen.
Aus einer tiefen innern Erkenntnis heraus schien er mit
einem Blicke das ganze fürchterliche Elend zu überse-
hen, das dieser düstere Gedanke hervorrief: er warf Hélè-
ne einen Schlangenblick zu und rührte in dem Herzen
dieses seltsamen Mädchens eine Welt noch schlummern-
der Gefühle auf. Es war, als hätte ein Lichtstrahl unbe-
kannte Reiche vor ihr aufgetan. Ihre Seele wurde über-
wältigt, niedergezwungen, ohne daß sie vermocht hätte,
sich der magnetischen Macht dieses Blickes, so unwill-
kürlich er sein mochte, zu entziehen. Beschämt und zit-
ternd ging sie hinaus und kehrte erst unmittelbar vor ih-
rem Vater in den Salon zurück, so daß sie ihrer Mutter
nichts berichten konnte.
Der General ging mit gleichförmigen Schritten stumm
zwischen den Fenstern, die auf die Straße blickten, und
jenen, die nach dem Garten gerichtet waren, auf und ab.
Er hatte die Arme über der Brust gekreuzt und war in
tiefe Gedanken versunken. Seine Frau behütete Abels [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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