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»Ich weiß nicht, warum ich das getan habe«, sagte Elisabeth
aufschluchzend. »Ich weiß es doch nicht.«
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FÜNFTES KAPITEL
Das Schweigen währte sehr lange. Elisabeth weinte, ihr Mann
starrte mit verbissenem Gesicht ins Leere.
Die Dunkelheit kroch heran, irgendwo suchte Satchmo eine
Beute zur Nacht und beklagte laut, dass keine Maus sich frei-
willig anbot. Cisco mühte sich am Ufersaum des Teiches ab,
einen meiner kostbaren Kois zu schnappen. Er japste verärgert,
weil er keinen Erfolg hatte. Zum Glück für die Kois ist er was-
serscheu. Meine Kröte quakte verhalten. Die Schwalben
schossen durch den Abendhimmel und sammelten Insekten für
ihre Kinder.
»Ich mache dir keinen Vorwurf«, begann ich erneut, »du lei-
dest ohnehin Höllenqualen. Aber jede falsche Aussage führt
vom Täter weg. Für die Kripo ist es verdammt wichtig, jedes
Detail wahrheitsgemäß zu kennen.«
»Glaubst du wirklich, dass Toni mit Annegrets Tod nichts zu
tun hatte?«, fragte sie.
»Ja, das glaube ich. Welchen Weg kann Annegret am Don-
nerstag denn nun benutzt haben, wenn nicht die Straße?«
»Von der Stelle, wo sie sich von den anderen getrennt hat,
gehen zwischen zwei Häusern Trampelpfade ab. Da kommt
man durch Gärten und Hinterhöfe, hinter den Häusern, die uns
gegenüberliegen.«
»Benutzte Annegret oft diesen Weg?«
Elisabeth schürzte die Lippen. »Keine Ahnung.«
Auch das ist mit Sicherheit falsch!, dachte ich zornig.
»Lass uns mal gehen«, wandte sie sich an ihren Mann.
»Ich komme nicht mit!«, entgegnete Rainer Darscheid hart.
»Siggi, kann ich bei dir bleiben? Nur diese Nacht?«
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»Selbstverständlich. Du musst zwar unten im Wohnzimmer
mit dem Sofa auskommen. Aber das geht bequem.«
Er versuchte erst gar nicht, seiner Frau etwas zu erklären,
obwohl sie sichtlich irritiert war.
»Ich verstehe das nicht«, murmelte sie. »Aber wenn du das so
willst.«
Er nickte und sah sie nicht an.
»Tja, dann fahre ich mal.« Sie stand auf und ging zur Garten-
pforte. Die Wagentür klappte, sie startete und fuhr vom Hof.
Das wirkte alles ganz unspektakulär, schien nichts Besonderes
zu bedeuten. Aber ich hatte das Gefühl, dass in diesem Mo-
ment das Band zwischen den beiden endgültig zerriss.
»Ich könnte nicht neben ihr schlafen«, meinte er. »Ich hasse
mich selbst dafür. Aber ich könnte es nicht.«
»Das ist in Ordnung, es ist deine Entscheidung. Willst du
noch etwas Wein?«
»Lieber nicht«, wehrte er ab.
»In was für einem Umfeld lebt deine Frau eigentlich? Abge-
sehen von der Freundin in der gleichen Straße. Gibt es da
irgendwelche Cliquen?«
»Na ja, sie hat Kontakt zu Frauen, die Kinder im gleichen Al-
ter haben. Das ergibt sich durch die Schule. Viele Mütter
arbeiten, aber Elisabeth wollte das nie. Sie sagte immer: Ich
habe nur eine Aufgabe, und die heißt Annegret. Wieso? Hast
du noch mehr herausgefunden?«
»Nein, nein«, sagte ich kopfschüttelnd.
»Ich hatte immer schon Schwierigkeiten mit dem Geschwätz
über andere. Über Toni zum Beispiel.«
»Na ja. Wir Journalisten leben zum Teil davon.«
Ich ging ins Haus, um ihm Bettwäsche herauszulegen. Ich
war überzeugt, dass seine Frau noch viel mehr wusste, als sie
bisher gesagt hatte. Und wahrscheinlich befürchtete Darscheid
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genau das.
Ich rief Rodenstock zu Hause an und bekam Emma.
»Ich wollte mich melden, wenn mein Besuch verschwunden
ist. Doch der Vater des toten Mädchens wird hier übernach-
ten.«
»Clarissa kann bei uns bleiben. Und, wie geht es dir? Hast du
irgendwann einmal Zeit für dich? Und für deine Tochter? Und
für Vera?« Sie lachte, weil sie wusste, dass mir das Druck
machte.
»Ja, irgendwann werde ich Zeit haben. Aber nicht mehr heu-
te. Ich bin hundemüde. Kannst du mir Rodenstock geben?«
Das dauerte ein paar Sekunden, dann sagte er: »Schön, von
dir zu hören.« Seine Stimme klang nun wieder ganz normal.
»Hör mal, ich schreibe auf, was war. So kann ich auch meine
Gedanken ordnen. Ist der Heimweg der Kinder nochmal über-
prüft worden? Weißt du das?«
»Ja. Die beiden Mütter, die gelogen haben, haben nun Zoff.
Zwei weibliche Kriminalbeamte sind heute Mittag mit den
Kindern den Weg von der Schule bis nach Hause gelaufen.
Den Kindern war es vollkommen wurscht, ob Annegret den
Rest des Weges über die Straße ging oder aber durch das Ge-
wirr der Gärten und Schuppen der Altstadt. Sie haben gesagt:
Sie ist mal so gegangen und mal so. Aber wirklich darauf ge-
achtet haben sie auch am Donnerstag nicht. Jedenfalls ist
anzunehmen, dass die Kleine durch das Messtischblatt gegan-
gen ist.« Er lachte. »Es heißt deshalb Messtischblatt, weil die
Gärten und Schuppen und Scheunen auf typische Eifler Art
voneinander getrennt sind. Da gibt es Grundstücke, die nicht
größer sind als dreißig Quadratmeter. Also ohne eine Karte
weißt du nicht, wo du bist, wo ein Grundstück aufhört und das
nächste anfängt. Tatsache ist, dass die Kinder diesen Weg ken-
nen. Was hast du denn nun über Toni Burscheid
herausgefunden?«
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»Wie gesagt, er mag pädophile Anlagen gehabt haben, aber
einen Tabubruch hat er nicht begangen. Ich glaube, dass er
durch das Gerede und durch Drohungen buchstäblich in den
Tod gejagt worden ist. Aber das kannst du dann alles in mei-
nem Bericht lesen. Ach ja: Die Mutter von Annegret kam
Donnerstagmittag nach Hause, sah die Schultasche ihrer Toch-
ter und hat die dann nach oben in Annegrets Zimmer getragen
und weit unter das Bett geschoben. Sie behauptet, sie weiß
nicht, warum sie das getan hat. Und wie sieht es mit den Spei-
chelproben der männlichen Einwohner der Verbandsgemeinde
Hildenstein aus?«
»Sie sind fast alle gekommen. Schon, um nicht ins Gerede zu
geraten. Kischkewitz erwartet, dass die Aktion morgen abge-
schlossen werden kann. Aber ehrlich gestanden, mache ich mir
keine Hoffnung.«
»Warum nicht?«
»Weiß ich nicht. Intuition.«
»Aber wer, zum Teufel, soll der Täter sein? Ein zufällig
durchreisender Handelsvertreter in Damenunterbekleidung?«
»Genau das. Das ist genau das Szenario, das wir alle am mei-
sten fürchten. Denn damit rückt die Lösung in immer weitere
Ferne, dann sind wir erst einmal am Ende. Wobei es schon
reichen würde, wenn der Täter einer der dreitausend Einwohner
eines der umliegenden Dörfer wäre. Also, bis morgen.« Damit
legte er auf.
Rainer Darscheid stand in der Tür zur Terrasse. »Sag mal,
könnte ich doch noch einen Rotwein haben?«
»Aber ja. Kleinen Moment.«
»Ich will dich nicht stören, aber schlafen kann ich sowieso
nicht.«
»Hier ist Bettwäsche, der Wein kommt und dann findest du
mich in meinem Bett. Im Zimmer ein Stockwerk höher.«
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Drei Minuten später erreichte ich meine Liegestatt. Es kann
nicht länger als zwei Minuten gedauert haben, bis ich in den
Schlaf segelte.
Ich wurde wach, weil mich jemand an der Schulter rüttelte
und mit mir redete.
»Was ist?«
»Wach auf«, sagte Rainer Darscheid. »Da ist ein Mann am
Telefon. Ich weiß nicht, wie er heißt, Rosenholz oder so.«
»Rodenstock.«
»Ja, genau. Er sagt, ich soll dich sofort wecken.«
»Wie spät ist es?«
»Viertel nach vier.«
»Ist denn der verrückt?«
»Unten am Telefon«, sagte Darscheid drängend und ver-
schwand wieder.
Ich rappelte mich hoch und stieg aus meinem Bett. Ich war
noch todmüde, überwand aber die Treppe ohne bösartigen
Sturz.
»Was ist?«
»Ein Mann in Wiesbaum ist getötet worden«, vermeldete er
kühl bis ans Herz. »Ein gewisser Gustav Mauren. Und die
Tochter behauptet, du seist gestern bei ihm gewesen.«
»War ich.«
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